Bin Jip – Die Kunst, unbemerkt durchs Leben zu gehen

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Der eindrücklichste Moment in diesem Film ist, wenn man als Zuschauer merkt, dass die Konzentration grösser, die Wahrnehmungen schärfer ist, als bei vielen anderen Filmen. Das liegt zum Hauptteil daran, dass die beiden Hauptfiguren keinen gesprochenen Dialog haben. Etwa zur Mitte des Films, wenn man schon fast verzweifelt darauf wartet, dass einer der beiden endlich sein Schweigen bricht, gibt es eine sehr sorgfältig inszenierte, jedoch uneinscheinbare Einstellung. Die beiden Hauptfiguren sitzen auf einem Sofa, die Kamera steht weit genug entfernt, dass man die sitzenden Personen in ihrer ganzen Grösse erkennt. Vor ihnen, quasi zwischen dem Zuschauer und den Figuren, steht ein niedriger Tisch. Die beiden Protagonisten sitzen einfach nur da, sehen in Richtung Kamera. Es passiert eigentlich nichts, doch plötzlich bewegt sich ihr nackter Fuss ganz sachte etwas nach links, zu seinem Fuss. Das ist der Moment, in dem man (bezw. ich) mit Erstaunen feststellen kann, dass, hätten die beiden einen tiefsinnigen Dialog geführt, man diese kleine, unscheinbare und doch so wichtige Bewegung gar nicht wahrgenommen hätte.

Bin-jip gehört wohl zu Kim Ki-duks bekannteren Filmen, da er 2004 in Venedig mit dem Regiepreis ausgezeichnet wurde. Genau wie in Frühling, Sommer, Herbst, Winter … und Frühling oder Seom (Die Insel) besticht Bin-jip durch eine starke Bildsprache, die teilweise brutal, komisch oder geheimnisvoll sein kann, und radikal wenig Dialog gebraucht. Seung-yeon Lee spielt den Einzelgänger Sun-hwa, dessen einzige Beschäftigung darin besteht, in Wohnungen einzubrechen, die kurzzeitig leerstehen da die Bewohner in den Ferien weilen. Ob die Wohnungen frei zugänglich sind, findet er dadurch heraus, dass er morgens Zettel eines Take Aways an die Türen klebt und abends die Runde macht. Dort wo die Zettel noch immer hängen, bricht er ein. Klauen will der Eigenbrötler nichts, ihm geht es wohl vielmehr darum, für eine kurze Zeit in die Leben der Bewohner zu schlüpfen. Er bedient sich aus deren Kühlschrank, schläft in ihren Betten und als «Dank» für die Gastfreundschaft repariert er den unfreiwilligen Gastgebern defekte Gerätschaften.

Eines Abends bricht er in die Wohnung von Tae-suk (Hyun-kyoon Lee) ein. Da sie das herrschaftliche Anwesen wenig bis gar nicht verlässt und ihr Mann zur Zeit nicht zu Hause ist, sieht sie den Flyer an der Tür nicht. Als sie Sun-hwa bemerkt, versteckt sie sich und beobachtet den vermeintlichen Dieb aus ihrem Versteck. Als sie aber erkennt, dass er nichts Böses im Schilde führt, gibt sie sich ihm zu erkennen. Sun-hwa verlässt darauf das Haus, kommt aber nicht umhin, ein Telefongespräch zwischen seiner Gastgeberin und ihrem sie misshandelnden Ehemann mitzuhören. Der letzte verzweifelte Blick Tae-suks auf ihren fremden Gast lässt diesen nicht mehr los und auf halbem Weg in die Freiheit, kehrt er zu dem herrschaftlichen Haus zurück. Er kommt gerade rechtzeitig, um seine Gastgeberin vor ihrem Ehemann zu retten (er benutzt dazu ein 3er-Eisen) und flieht mit ihr zusammen.

Sie brechen nun zu zweit in leere Wohnungen ein, übernachten, essen, waschen Kleidung oder reparieren Defektes. Die stummen Partner kommen sich immer näher und obwohl sie sich nicht unterhalten, keine Gedanken austauschen, scheinen ihre Handlungen sich zu ergänzen. Tae-suks Ehemann lässt die Schmach von seiner Frau verlassen worden zu sein aber nicht auf sich beruhen, und hetzt den beiden die Polizei auf den Hals. So kommt es, dass nach einigen Tagen der trauten Zweisamkeit, Sun-hwa verhaftet wird und Tae-suk zu ihrem Ehemann zurückgeschickt wird. Während Sun-hwa im Gefängnis sein Talent zu verschwinden übt, sucht Tae-suk all die Orte auf, die sie mit ihrem Geliebten verbindet. Als Sun-hwa eines Tages die Flucht aus dem Gefängnis gelingt, beginnt für Tae-suk ein ganz neues Leben zusammen mit ihrem Ehemann und ihrem Geliebten.

Schlüssel: gesucht und gefunden

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«We are all empty houses, waiting for someone to open the lock an set us free. One day, my wish comes true. A man arrives like a ghost and takes me away from my confinement. And I follow, without doubts, without reserve, until I find my new destiny.» Dies sind die erklärenden Worte des Regisseurs zu seinem Film, Worte, die er seiner weiblichen Hauptfigur in den Mund hätte legen können. Doch Hyun-kyoon Lee als Tae-suk spricht in Bin-jip nur gerade einen einzigen Satz, ihr männlicher Gegenpart keinen. So muss der Film des koreanischen Autodidakten hauptsächlich von den beiden schauspielerischen Leistungen getragen werden. Hyunn-kyoon Lee ist in ihrem Minenspiel zwar sehr beherrscht, um nicht zu sagen ausdruckslos, dies wird aber von ihrem Gegenpart und seiner aussergewöhnlichen Körperbeherrschung wieder wettgemacht. Seung-yeon Lees Minenspiel und ausdrucksstarker Blick vermögen dem Film eine Tiefe zu verleihen, die die 95 Minuten Dauer in eine Ewigkeit verwandeln. Denn dies ist ein weiteres eindrückliches Erlebnis beim Schauen dieses Filmes: dass man die rund eineinhalb Stunden nicht als solche wahrnimmt und das Gefühl hat, Bin-jip dauere sehr viel länger. Vielleicht liegt es am Grad der Konzentration, die man für diesen Film aufwendet. Dadurch, dass einem eine Verständnisebene, die des Dialogs nämlich, genommen wird, wird man von den Bildern, den Handlungen und den winzigen, kaum wahrnehmbaren Regungen gefangen genommen. Das ist auf der einen Seite ein wenig ermüdend, auf der anderen Seite aber auch sehr erfrischend. Denn mit Bin-jip wird ein Film präsentiert, bei dem der Regisseur seinem Publikum zutraut, eigene Gedanken zu haben, ja es förmlich dazu aufmuntert, selbst über die Beweggründe der Hauptfiguren zu sinieren.

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